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Anette Frisch

Buchtipp: Die Kinder hören Pink Floyd

Aktualisiert: 30. Jan. 2023

In den 1970er Jahren war alles möglich. Da konnte man bei Freunden im hauseigenen Pool nach Goldbarren tauchen.



Auf dem Foto ist das Buch Die Kinder hören Pink Floyd von Alexander Gorkow zu sehen. Es liegt auf Flips-Flops mit Regenbogenmotiv
Perfect match: Die Kinder hören Pink Floyd von Alexander Gorkow auf meinen Flip-Flops


Während die Mutter am Beckenrand mit einem Campari in der Hand das Spiel der Kinder verfolgt, die Degussa-Barren dann einen nach dem anderen annimmt, um sie später wieder im Tresor zu verschließen. Nach dem ausgelassenen Nachmittag in der Meerbuscher Villa der Rheinmetall-Familie fährt der Chauffeur den Freund wieder zurück ins Mittelstandsleben auf die Bonhoeferstraße.


Wenn nicht doch Fiktion ist das so geschehen im Leben des Journalisten Alexander Gorkow. Er erzählt diese Szene in seinem 2021 erschienenen Kindheitsroman „Die Kinder hören Pink Floyd“ und zieht damit, vollkommen unbeabsichtigt natürlich, Parallelen zu meinem Coming-of-Age. Zum Beispiel diese: In der Grundschule am Schreibtisch sitzen, nicht nach vorn zur „Fräulein Lehrerin“ schauen, sondern in die Wolken starren, weil ich weiß, dass Gedanken wahr werden können, wenn ich mich nur fest genug konzentriere auf eine bestimmte Stelle im Himmel, die Augen darf ich auf keinen Fall schließen, sonst bricht die hypnotische Verbindung ab und ich muss von vorn beginnen. Das ist anstrengend.


Die Schwester, die der Autor im Roman nur „die Schwester“ nennt, – wie den Vater nur „der Vater“ heißt, die Mutter nur „die Mutter“ und damit eine Leserinnendistanz schafft, die ich als eine Art ambivalente Annäherung verstehe, die den subtilen Schmerz, der allen Familien eigen ist, in Schach zu halten sucht – diese Schwester nun erzählt ihrem Bruder, die Pyramide auf dem Cover des Pink Floyd Albums Wish you were here würde sich im Himmel abzeichnen, wenn er sich nur stark genug darauf konzentrierte.


Die Liebe zu Pink Floyd verbindet die herzkranke Schwester mit ihrem stotternden Bruder. Der Titel des Romans „Die Kinder hören Pink Floyd“ ist ein Zitat aus dem Buch und die Antwort der Mutter auf die Frage des Vaters, was die Kinder gerade machen.


Die Kinder hören Pink Floyd. Die Kinder sind im Garten. Die Kinder streiten sich. Die Kinder sind auf der Straße. Die Kinder sind Rollschuhfahren. Die Kinder sind mit dem Hund raus. Die Kinder sind schwimmen.


Meine Schwester und ich haben es leicht damit. Die Praxis unseres Vaters ist im selben Gebäude wie das kleine Hallenbad. Eine Glastür führt in den Kassenbereich des Bades und wir können, wann immer wir wollen, da durch und schwimmen gehen. Das Schwimmen haben wir uns selbst beigebracht. Wir haben geschaut, wie es andere machen, uns dann immer wieder vom Beckenrand abgestoßen und sind dorthin zurückgeschwommen. Zunächst im Kinderbecken, später im „Tiefen“. Während unser Vater nebenan massiert und unsere Mutter zuhause trinkt oder schläft.


Keine Ahnung, was die Kinder machen. Die Kinder wachsen in einer haltlosen Freiheit auf.


Wenn unsere Lippen blau sind und die Fingerspitzen schrumpelig, retten wir uns unter die heiße Dusche. Irgendwann holen wir die Handtücher dazu, legen sie uns um die Schultern, setzen uns auf den Boden und der heiße Strahl der Dusche prasselt auf unser schützendes Handtuchzelt nieder. Bis uns die Kassenfrau holt, weil unser Vater längst ausmassiert hat und sich wundert, wo wir bleiben.


In den 1970er Jahren aufzuwachsen, mit Eltern, die jung, verliebt, mutig und verlassen waren, sich gegen das Establishment stellten und die Kinder ihrer Selbst überließen, weil sie es nicht anders gelernt hatten, aber anders gelernt hatten und jetzt davon überzeugt waren, dass Freiheit alles ist, war ein Abenteuer voller Ungewissheiten. Es ist es heute noch.


Meine Schwester und ich hatten nie Freunde, mit denen wir nach Goldbarren getaucht sind. Das wäre uns schon damals nicht im Traum eingefallen.


„Die Kinder hören Pink Floyd“ ist trotzdem ein ganz wundervolles Buch!

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