top of page
Anette Frisch

Mengele im Waldbad









Quelle: Waldbad Günzburg


Das Waldbad der bayrischen Kleinstadt Günzburg liegt unweit der Donau, idyllisch am Nauwald. Es wirbt mit dem Slogan "Raus aus dem Alltag, rein ins Vergnügen”. Taucht man in die Geschichte des Freibads ein, klingt das Werbecredo makaber. Als die Stadt es 1959 plante, gab es einen große Spende. 30.000 Mark vom Landmaschinenfabrikant Karl Mengele. Das kann man auf der Website des Bades unter dem Link "Historie” nachlesen.


Gut neun Jahre nach dem 2. Weltkrieg tut Mengele nicht nur der Gemeinde Gutes - sondern auch seinem Sohn im entfernten Argentinien. Josef Mengele, massenmörderischer Arzt des Konzentrationslagers Auschwitz, erhält aus der Heimat regelmäßig großzügige Schecks. Am 22. Juni 1949 hatte “Josele” als Helmut Gregor sein argentinisches Refugium erreicht. Im Gepäck: einen kleinen Aktenkoffer mit Injektionsspritzen, Heften mit anatomischen Zeichnungen, Blutproben, Zellplättchen.


So beschreibt es der französische Autor und Journalist Olivier Guez in seinem Buch Das Verschwinden des Josef Mengele. Ich bin Guez bei einer Lesung bei Müller & Böhm in Düsseldorf begegnet. Dort erzählte er von seinem Spaziergang durch Günzburg, wo Josef Mengele 1911 geboren wurde.


Mischwesen aus Krimi und Reportage


Guez' Roman beruht auf Tatsachen. Der Franzose hat vier Jahren recherchiert, in Archiven in Israel, Brasilien, Argentinien, Paraguay und eben Günzburg. Seinen Roman hat er zu einem literarischen Mischwesen aus Krimi und Reportage verwoben hat. Detektivisch ist er dem Bösen auf der Spur. Ähnlich detailreich und brutal wie Truman Capote das in seinem Roman Kaltblütig gemacht hat.


Vieles von dem, was Guez zusammengetragen hat, hat mich überrascht. Zum Beispiel, wie perfide der durch die sentimentale Evita-Perón-Biografie mystifizierte argentinische Präsident Juan Perón war: Nach dem 2. Weltkrieg hieß er die Hautevolee der Nazis willkommen. Mit dem Ziel, sich das wissenschaftliche Kapital der Verbrecher ins Land zu holen und damit für den 3. Weltkrieg gewappnet zu sein. Perón ging tatsächlich davon aus, dass sich Amerikaner und Russen atomar bekriegen, zersetzen und Argentinien zur Weltmacht aufsteigen würde.


Monster Mengele


Guez beschäftigt sich auch mit dem Verhältnis Beziehung zwischen Josef Mengele und Adolf Eichmann. Auch der war bekanntermaßen in Argentinien. Die beiden sind sich in ihrem Exil imehrmals begegnet, sympathisch waren sie sich aber nicht. Eichmann verdingte sich als Handlanger in einer Wäscherei; Mengele war in Südamerika als Handelsvertreter für die Firma seines Vaters unterwegs.


In wenigen Passagen zitiert Olivier Guez die Aufzeichnungen von Miklós Nyisli. Der Rumäne war ein jüdischer Arzt, der Mengele bei seinen grausamen Experimenten an Kindern, Frauen und Männern assistieren musste. Nyisli Beschreibungen sind so schrecklich, dass mir übel wurde. Wie Guez es geschafft habe, die Welt des Josef Mengele auszuhalten, fragte ihn ein Gast bei der Lesung. “Ich war selten in seinem Kopf, aber immer hinter ihm”, sagte Guez.


Schwimmen und sterben


Josef Mengele wurde nie gefasst. Sein Tod war lautlos. Am 7. Februar 1979 ertrank er einfach, beim Baden im Meer in Santos/Brasilien. Erst 2016 wurden seine Knochen der brasilianischen Forensik zur Verfügung gestellt. Seine Hefte und Exiltagebücher wurden 2011 in den Vereinigten Staaten für 245.000 Dollar versteigert, Verkäufer und Käufer blieben anonym. Die Firma Mengele wurde 1991 verkauft, seit 2011 ist der Markenname Mengele endgültig verschwunden.


Am Günzburger Waldbad noch nicht.


Das Verschwinden des Josef Mengele, Olivier Guez, aufbau Verlag, 2018, 224 Seiten, 20 Euro

Comments


bottom of page