Mein Badegast Chantal Gapp ist durch Zufall auf den Blog gestoßen. Die Geschichten haben sie inspiriert, einen Text über ihren Weg zur Schwimmerin zu schreiben. Ihre Schwester spielte dabei eine wichtige Rolle.
Wann habe ich eigentlich wirklich gelernt, was Schwimmen ist? Wahrscheinlich ungefähr vor 25 Jahren, als ich um die 16 Jahre alt war. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber ich weiß noch, wie sich das angefühlt hat: Schwerelos. Mit sich im Reinen. Einatmen. Eintauchen. Ausatmen. Mag einer den Yoga-Hype verstehen, mir fällt das schwer. Ich hab’s versucht und eigentlich nur eins festgestellt, dass meines das Schwimmen ist und immer sein wird. Natürlich konnte ich mit 16 Jahren schon schwimmen. Ich hab’s als Kind gelernt, quer durch die Hallen- und Freibäder mit meiner Familie. Genau so nebenbei wie das Laufen. Aus Plantschen & Spielen wurde Plantschen & Spielen & Tauchen und daraus wurde Schwimmen. Ich war schon immer wie ein Fisch und glücklich im Wasser. An meine erste Bahn im Freibad, mit meinem Vater hinter mir, erinnere ich mich genau. Stolz war ich. Aber Bahnen geschwommen, um Bahnen zu schwimmen, bin ich eher nicht. Schwimmen war Mittel zum Zweck. Um sich im Wasser fortzubewegen oder nach dem Sprung vom Sprungbrett zurück zum Beckenrand zu gelangen und wieder reinzuspringen.
Zu dem, was ich heute als Schwimmen bezeichne, dazu brauchte es mehr als zehn Jahre und die ältere Schwester mit frisch bestandenem Führerschein. Gemeinsam sind Jasmin und ich mit dem Auto zum nächsten Hallenbad, ein paar Ortschaften weiter. Jasmin fing mit dem Bahnen ziehen an und zog mich mit. Bis heute ist meine Schwester meine liebste Schwimmpartnerin. Neulich bekam ich einen Newsletter von einem Schwimmbedarf-Online-Shop, angepriesen wurden Valentins-Badekappen. „Du bist der Pull zu meinem Kick.“ Ich zeigte ihr die Mail und wir mussten lachen. Alberne Idee, aber sie würde bestens zu unserer Geschichte passen. Gemeinsam haben wir uns in die Technik reingefuchst, Kraulen geübt und allmählich verstanden, was Schwimmen wirklich ist. Bahn um Bahn. Atemzug um Atemzug. Die gelben Hand-Paddels von damals hab ich immer noch. Ich benutze sie nicht mehr, aber wegwerfen werde ich sie nie.
Ich wurde im Freibad einmal von einer Schwimmerin in meinem Alter angesprochen, die oft zur gleichen Zeit schwamm wie ich. „Und, wofür trainierst du?“, fragte sie mich. „Für nix. Einfach so“, sagte ich. Im Nachhinein hat es das nicht getroffen. Die bessere Antwort wäre gewesen: „Für mich“. Damals wie heute. Keine Wettkämpfe, kein Verein. Irgendwann waren 100 Bahnen im 25 Meter Becken mein Standard; heute sind es eher 60. Dass ich am liebsten in der Halle schwimme, blieb. Das tun nicht viele. Ich mag es aber, wenn das Wasser konstant warm ist. Ich friere nicht gern und will den Grund sehen.
Bis heute schwimme ich nicht schnell. Und obwohl ich die Zeit nie messe und sie mich nicht interessiert, ärgert mich das manchmal doch. Ich werde oft überrundet. Vor allem wurmt es mich, wenn es meine liebste Schwimmpartnerin ist, die sich an den unpassendsten Stellen irgendwie noch durchquetscht. Die Technik kann ja immer verbessert werden, das macht irre viel Spaß, nimmt manchmal aber auch zu viel weg. Manchmal tappe in die Falle und schwimme zu kopflastig. Und dann vom Kopf weg zurück ins Gefühl und in die Balance zurückzufinden, ist nicht immer leicht. Zum Glück gelingt es mir aber meist. Worum es nämlich eigentlich geht, ist das, was im Wasser mit mir passiert und was nur schwer zu beschreiben ist: Gedanken sortieren und doch an nichts denken; während des Schwimmens voll da sein, aber auch woanders; erschöpft aus dem Wasser steigen und sich gleichzeitig leicht fühlen. Das klingt alles widersprüchlich, trifft aber den Kern. Was auch immer ich ins Becken mitgenommen habe – vom Alltagskram bis hin zu harten Schicksalsschlägen – hat sich im Becken zum Positiven gewandelt. Manchmal viel, manchmal weniger, aber immer geht was. Ich steige als eine Andere wieder heraus.
Bei uns in der Stadt gibt es einen kleinen Schwimmladen. Charmant, Tante-Emma-mäßig, voll gestopft mit Liebe und Fachwissen. Eine Institution. Lange stand dort im Schaufenster eine gelbe Sporttasche von Arena mit pinkem Schriftzug: „You can’t buy happiness but you can go swimming. And that’s pretty close.“ Eigentlich ein ziemlich abgedroschener Kalenderspruch, aber auf nix trifft er so gut zu wie aufs Schwimmen. Das sag ich vor allem deshalb, weil – bei aller Liebe – Schwimmen nie das Einzige für mich war. Ich weiß, was es heißt ein Runner’s High zu haben und wenn Tanzen zur Leidenschaft wird. Kein Wunder, dass die Tasche im Schaufenster angekettet war. Es gab zu viele Menschen, die sie haben wollten, und zu groß war die Gefahr, dass sie gemopst würden, meinten die Inhaber. In letzter Zeit huscht immer mal wieder der Gedanke durch meinen Kopf, eine inklusive Schwimmgruppe zu starten. Für alle und jeden, in eigenem Tempo und mit seinen eigenen Ambitionen. Jeder für sich und doch zusammen. Die Idee kam mir, als ich ein Porträt über einen inklusiven Lauftreff las. Schnell vergesse ich sie im Alltag wieder. Mal schauen, ob sie jetzt öfter auftaucht und bleibt.
Chantal "Tally" Gapp lebt in Freiburg. Sie ist durch Zufall auf den Blog gestoßen und hat losgeschrieben. Ihre Schwester Jasmin hat Tallys Geschichte "zu Tränen gerührt". Die beiden haben sich zu einem Fotoshooting im Hallenbad Haslach entschlossen, das unter der strengen Kontrolle eines knurrigen Bademeisters in aller Kürze stattfinden musste. Vielleicht der Grund dafür, dass Tally das Lorettobad in Freiburg empfiehlt.
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